Die ersten Tage als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Kanzlei– zwischen Infrastrukturprojekten, Kaffee mit Kolleg:innen und Verantwortung

Unser Autor Robert ist nach dem zweiten Examen einen etwas ungewöhnlichen Schritt gegangen: Er hat eine Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter begonnen. Hier erzählt er von seinen Erfahrungen aus dem Berufseinstieg.

Wenn man das zweite Examen hinter sich hat (oder zumindest kurz davorsteht), stellt sich schnell die Frage: Was kommt als Nächstes? Viele gehen direkt in die Justiz oder in eine Kanzlei als Associate. Ich bin zunächst einen Zwischenschritt gegangen: Ich habe als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Kanzlei für Energie- und Infrastrukturrecht angefangen. Das ist eine Erfahrung, die irgendwo zwischen „akademischer Denker“ und „praktizierender Anwalt“ liegt.

Der Einstieg

Die ersten Tage im Beruf als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer spezialisierten Kanzlei sind eine spannende Mischung aus Aufbruchsstimmung, neuen Eindrücken und unerwarteter Verantwortung. Statt gemächlichem Ankommen (wie es im Referendariat mit den Einführungslehrgängen oft der Fall war) stehst du oft sofort mitten in laufenden Mandaten – und das nicht selten in Projekten mit großer wirtschaftlicher Bedeutung. Infrastrukturvorhaben wie Batteriespeicher, Windparks oder Netzausbau wirken von außen abstrakt, in der täglichen Arbeit wird aber schnell klar, dass sie den Puls unserer Zeit treffen. Plötzlich recherchierst du zu Genehmigungsfragen oder EU-rechtlichen Vorgaben – Themen, die im Rahmen der Energiewende in der Zeitung stehen, laufen bei dir als Akte auf dem Tisch. Diese gesellschaftspolitischen Themen und die rechtlichen Schnittstellen zur Arbeit von Ingenieurinnen und IT-Abteilungen (den echten Praktikern) waren aber genau das, was für mich den Reiz von Infrastrukturprojekten ausgemacht hat.

Wissenschaftliche Arbeit am Puls der Zeit

Parallel dazu kann wissenschaftliche Mitarbeit in einer spezialisierten Kanzlei auch eine Brücke zur Veröffentlichung sein. Gerade im IT-Recht, das sich rasant entwickelt, besteht aktuell gute Gelegenheit, an Aufsätzen oder Kommentaren mitzuwirken. Du vertiefst dich in Datenschutzfragen, Künstliche Intelligenz oder neue Regulierungen und bekommst nicht nur einen Einblick in die Praxis, sondern kannst zugleich an wissenschaftlicher Debatte teilhaben. Das macht die Position besonders attraktiv für alle, die juristische Arbeit nicht nur als Dienstleistung, sondern auch als intellektuelle Auseinandersetzung verstehen, oder sich nicht ganz sicher waren, ob die Mitarbeit an einem Lehrstuhl nicht doch das richtige für sie gewesen wäre.

Hohe Zeitbelastung – ohne den Titel „Rechtsanwalt“

Mit der spannenden Arbeit geht aber auch eine hohe Zeitbelastung einher. Mandate müssen unter engen Fristen bearbeitet werden, die Verantwortung ist groß – und das, obwohl du (noch) nicht als Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin zugelassen bist und auch nicht auf diesem Niveau bezahlt wirst. Denn so tief wie du ist regelmäßig niemand in der Kanzlei in Spezialthemen eingearbeitet, sodass Sie sich auf deine Stellungnahme verlassen müssen. Im Gegensatz zur Uni steht das Geld für Recherche nicht im Rahmen des Lehrstuhlbudgets parat, sondern muss über Mandate erwirtschaftet werden. Es ist ein bewusst gewählter Einstieg: Du entscheidest dich für eine wissenschaftliche Mitarbeit, weil du Praxisnähe erleben willst, ohne dich sofort für die volle Anwaltsrolle mit allen Verpflichtungen zu binden. Und für Kanzleien ist gerade der Punkt, dass du noch weniger verdienst als zugelassene AnwältInnen der Punkt in der Kalkulation, der eine vertiefte Recherche erst möglich macht.

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Freundliche Aufnahme und schnelle Vernetzung

Ein Aspekt, der den Einstieg in diesen neuen Berufsabschnitt erleichtert, ist die Aufnahme in ein freundliches Team. Im Gegensatz zu ehemaligen KommilitonInnen am Lehrstuhl kennt man regelmäßig niemanden in der Kanzlei vorher. In vielen Boutiquen ist die Atmosphäre kollegial, PartnerInnen und Associates binden neue wissenschaftliche MitarbeiterInnen aus den obigen Gründen schnell ein. Schon nach den ersten Tagen fühlt man sich bestenfalls oft nicht wie ein „Externer“, sondern als Teil des Teams. Dies dürfte auch nur im Interesse der Kanzlei sein, denn schließlich will man dich bei entsprechender Qualität der Arbeit längerfristig halten. Zu einem gelungenen Einstieg gehört für mich auch ein Einstandskuchen (also ein Kuchen fürs Team, gebacken von dem/der neue/n Angestellte/n), wobei mir gespiegelt wurde, dass diese Tradition gar nicht mehr so selbstverständlich ist. Bei den ersten Gesprächen bei einem guten Stück Kuchen gewinnt man aber einen guten Eindruck von dem Team, für das man sich für die Zukunft entschieden hat. Denn ein kollegiales Umfeld ist essentiell für das langfristige Wohlbefinden an einem Arbeitsplatz, an dem man den Großteil seines Alltages verbringt und den auch kein Geld der Welt aufwiegen kann.

Warum es sich trotzdem lohnt

Auch wenn der Titel „Wissenschaftlicher Mitarbeiter“ weniger prestigeträchtig wirkt als „Associate“, bietet die Rolle echte Vorteile. Zum einen verdienst du oft immer noch besser als viele Gleichaltrige mit Berufsausbildung – ein Fakt, den man im Alltag leicht vergisst. Zum anderen verschaffst du dir früh wertvolle Kontakte und Fachkenntnisse in spannenden Rechtsgebieten, kannst bestenfalls sogar deine Vita mit ersten Fachartikeln schmücken ohne noch eine nur zeitlich befristete Stelle an der Uni zu haben. Ein weiterer Grund ist ganz banal: Zwischen Klausuren, mündlicher Prüfung und der Bekanntgabe der Noten im Examen klafft ein Loch. Wer in dieser Zeit eine Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter annimmt, kann nicht nur Geld verdienen, sondern auch eine langfristige Perspektive schaffen und die ungewisse Zeit etwas abfedern. Viele Kanzleien bieten wissenschaftlichen Mitarbeitern flexible Arbeitszeiten, oft 16 bis 24 Stunden pro Woche. Das erlaubt es, parallel eine Dissertation oder andere berufliche Projekte zu verfolgen – oder einfach durchzuatmen, bevor man sich in den nächsten Karriereschritt stürzt oder auch wenn eigentlich (noch) das Referendariat den Fokus des Lebens bestimmt.

Fazit

Die ersten Tage als wissenschaftlicher Mitarbeiter sind intensiv: spannende Infrastrukturprojekte, wissenschaftliche Arbeit am Puls der Zeit, aber auch hohe Arbeitsbelastung und Verantwortung. Entscheidend ist, dass du diese Position bewusst wählst – als Einstieg in die Praxis, als Möglichkeit zur Publikation, als Chance zur Vernetzung. Zwischen Fußnoten, Fristen und Teamabenden wird schnell klar: Auch ohne Anwaltszulassung kannst du in dieser Rolle mitten im juristischen Geschehen stehen – und Erfahrungen sammeln, die den weiteren Berufsweg prägen.

Was mich interessieren würde: Wie steht ihr zu Einstandskuchen? Schöne Tradition oder ist euch der Abend am Ofen für noch Unbekannte zu viel Stress?

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