Abenteuer Referendariat- Roberts Erfahrungen abseits der Großstadt

Robert hat in diesem Jahr sein Referendariat in Mecklenburg-Vorpommern begonnen. Hier berichtet er von den Herausforderungen seiner ersten Station und darüber, ob es ihm in dem beschaulichen Bundesland gefällt. 

Vor zwei Monaten begann ich mein Referendariat in Mecklenburg-Vorpommern. Warum an der (nicht nur juristisch) eher dünn besiedelten Küste bleiben? Warum nicht nach Hamburg oder Berlin in die Hochburgen der Rechtsbranche?

Nach fünfeinhalb Jahren Studium an der Uni Greifswald war für mich klar, dass ich zeitnah praktische Erfahrungen sammeln wollte. Auch wenn mich wissenschaftliches Arbeiten nach wie vor sehr interessiert, kam eine Promotion direkt im Anschluss für mich nicht in Frage. Ich wollte die praktische Arbeit von Jurist*innen erleben, auch da mir coronabedingt in vier Semestern weitere Praktika verwehrt blieben. Entsprechend bewarb ich mich direkt nach dem Erhalt meines Examenszeugnisses Ende März beim OLG Rostock. 

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Die Bewerbungsphase

Nachdem einem der Antragsprozess zur ersten juristischen Prüfung noch sehr gegenwärtig war, wartete nun also mit der Einreichung diverser Formulare, einem Führungszeugnis und der Wahl einer Wunschausbildungsstelle erneut eine umfangreiche Bewerbung auf mich. Ein Referendariat in Berlin oder Hamburg schied aufgrund der langen Wartezeiten von teils fast drei Jahren für mich aus. Meine alte Heimat Schleswig-Holstein konnte gegenüber M-V mit einer ähnlichen geographischen Struktur bei deutlich schlechterer Vergütung als Referendariatsstandort ebenfalls nicht überzeugen. Da noch viele meiner sozialen Kontakte aus Studienzeiten in Greifswald sind, fiel die Entscheidung deshalb auf eine Bewerbung beim nächstgelegenen Landgericht Stralsund. 

Die Zusage seitens des OLG erfolgte relativ schnell. Danach folgte jedoch für ein Monat ohne weitere Informationen. Das Land M-V stellt die Referendar*innen im Regelfall als Beamt*innen ein, entsprechend sind diese auch bezüglich ihres Arbeitsplatzes weisungsgebunden. Bis etwa zwei Wochen vor meinem ersten Arbeitstag im Juni wusste ich nicht, ob mein Wunsch bezüglich des LG Stralsund berücksichtigt werden konnte, oder ob ich zeitnah eine Wohnung in Neubrandenburg finden muss. Die vier Landgerichte des Landes in Schwerin, Rostock, Stralsund und Neubrandenburg sind alle reguläre Ausbildungsstätten. Allerdings konnte bei mir, wie auch bei allen anderen Jahrgängen – mit Ausnahme des Sommers 2022 – mein Wunsch berücksichtigt werden. 

Die ersten Arbeitstage

So wurden alle Referendar*innen des Landes eingeladen, zu ihrem ersten Arbeitstag in den Räumlichkeiten des OLG Rostocks feierlich in ihr Amt eingeführt und vereidigt zu werden. Unser Jahrgang besteht aus 50 Personen, von denen 14 dem LG Stralsund zugewiesen wurden. Die Atmosphäre war seriös, aber insgesamt durch die wirklich schöne Räumlichkeit und die diversen Redner*innen aus Verwaltung, Anwaltschaft und Justiz ein gelungener Einstand. 

Der erste Tag am Landgericht begann mit einem überschaubaren Informationsstand seitens der Referendar*innen. Uns war bekannt, dass die ersten zwei Wochen aus einem Einführungslehrgang bestehen würden. Allerdings hatte niemand von uns einen Zugang zum Gericht, sodass wir uns nach und nach am regulären Besuchereingang sammelten und von den Justizangestellten eingelassen und zum Seminarraum gewiesen wurden. 

Der große Unterschied war für mich jedoch das Wissen, nun für das angestrengte Zuhören bezahlt zu werden.

Der erste Eindruck unserer „Arbeitsgemeinschaft“ war eigentlich eine Fortsetzung des Studiums. Der große Unterschied war für mich jedoch das Wissen, nun für das angestrengte Zuhören bezahlt zu werden. Neben der üblichen Vorstellungsrunde, bei der die durchaus unterschiedlichen Lebensläufe der Referendar*innen bezüglich Promotion, Familiengründung oder nur einer längeren Pause nach dem ersten Staatsexamen offenbar wurden, stand zuerst viel Organisatorisches auf dem Programm. 

 Wir erfuhren erst in den kommenden Tagen, wer unsere zukünftigen ausbildenden Richter*innen sein würden, ebenso wie den erfreulichen Umstand Dienstlaptops zu erhalten. Auch erhielten wir – zumindest die Kolleg*innen, die nicht einem der Amtsgerichte zugewiesen waren – eigene Schlüssel für das Gericht. In den Mittagspausen in der gerichtseigenen Kantine wurde dann anhand des Geschäftsverteilungsplanes schon vor dem ersten Gespräch mit unseren Ausbilder*innen unsere zukünftigen Kammern ermittelt. 

Im Einführungslehrgang lernten wir dann, wie die Zivilgerichtsbarkeit arbeitet und die grundsätzliche Struktur von Urteilen. Zudem besuchten wir gemeinsam mit unserem AG-Leiter einen Verhandlungstag am AG Greifswald, um auch allen ohne Gerichtspraktikum ein erstes Gefühl über den Ablauf einer Verhandlung zu vermitteln. Mit diesem Wissen begann dann in der dritten Woche die Arbeit in den Dezernaten, bei mir in der Kammer für Bank-, Versicherungs- und Erbsachen. Bis auf letztere erschien mir diese Materie eher fremd, allerdings sind viele Fälle des Versicherungsrechts in Konstellationen angesiedelt, die sich mit allgemeinem BGB-Wissen gut lösen lassen. 

Der Alltag am Gericht 

Eine übliche Woche am Gericht besteht aus einem Arbeitsgemeinschaftstag, in dem wir besondere zivilprozessuale Konstellationen wie Versäumnisurteile, Prozesskostenhilfe und Zwangsvollstreckungen erörtern. In der Regel haben dann alle Richter*innen einen Verhandlungstag in der Woche, bei dem wir Referendar*innen mit auf der Bank sitzen dürfen. An den Amtsgerichten sind es mitunter mehr. Kammerentscheidungen sind beim Landgericht mittlerweile eine absolute Ausnahme. Entsprechend freue ich mich, einem ziemlich jungen Richter zugewiesen worden zu sein, der in die am LG oft sehr nüchternen Anwaltsprozesse mit einer lebendigen Moderation durchaus spannend gestaltet. Ein üblicher Verhandlungstag umfasst drei bis fünf Fälle, je nach Komplexität. 

Die Aktenführung erfolgt in unserem Gerichtsbezirk mittlerweile voll digital. Entsprechend bearbeiten wir auch unsere Arbeitsaufträge primär im Homeoffice. Zwar steht am LG ein Referendarzimmer zum Arbeiten zur Verfügung, allerdings wird wohl bis frühestens 2024 kein WLAN bereitgestellt. Hier besteht auf jeden Fall Nachholbedarf. Üblicherweise schreiben wir Referendar*innen aus Akten oder auch Fällen, deren Verhandlung wir folgen durften, Urteile oder Voten. Die ersten Versuche gestalteten sich mangels Erfahrung aus dem Studium durchaus schwierig, da Sprache und Struktur sich doch deutlich von den Gutachten unterscheiden, die man noch vor wenigen Monaten im Examen schrieb. Auch die Stoffgliederung in den E-Akten, die mit Protokollierungen regelmäßig 400 Seiten und mehr umfassen, ist anfangs herausfordernd. Allerdings ist sowohl die Bewertung unserer Leistungen als auch das generelle Arbeitsklima sehr kollegial. Das –für Jurastudierende wenig überraschend – hin und wieder scharfe Feedback trägt so aber doch dazu bei, dass man in den 6 Wochen Dezernatsarbeit eine ziemlich steile Lernkurve vorzuweisen hat. So geht es jetzt in die erste Probeklausur, ebenfalls in Urteilsform, denn das zweite Staatsexamen ist „nur“ noch 1,5 Jahre entfernt… 

Lohnt sich ein Referendariat in Mecklenburg-Vorpommern?

Im Fazit kann ich – wenngleich ohne die anderen Länder näher zu kennen – sagen, dass ich die Wahl von M-V für mein Referendariat nicht bereue. Das Klima ist wie im Studium auch schon nahezu familiär, gerade weil die allermeisten Stralsunder Referendar*innen ebenfalls in Greifswald studiert haben. Auch die Besoldung von etwa 1450 Euro netto ist immer noch ein deutlicher Sprung verglichen zum studentischen Budget, da sich an den Lebenshaltungskosten nicht viel verändert hat.  Vielleicht hätte etwas mehr Zeit und Stoff im Einführungslehrgang uns gutgetan, da ein Kommentar nur bedingt geeignet ist, einem die Angst vor groben Schnitzern im Urteil zu nehmen, wenn Konstellationen wie eine Hilfswiderklage das erste Mal auftauchen. 

Demnächst steht nun meine erste eigene Verhandlungsleitung an. Auch wenn man im Studium bereits Erfahrungen mit Moot Courts gesammelt hat, ist die Aufregung nicht zu verleugnen. Ab November geht es dann nach fünf  Monaten am LG auch schon weiter in die Verwaltungsstation. Bei Interesse könnt ihr euch also gern auf weitere „Abenteuer im Referendariat“ freuen.