Unsere Autorin Stine hat die erste Station ihres Referendariats hinter sich gebracht – und in der Zeit mehr gelernt, als ihr auf den ersten Blick auffiel. In diesem Beitrag zieht sie eine Bilanz.
Auch wenn ich mir das Ende der Zivilstation fast herbeigesehnt habe, zeigt es mir jetzt, wie schnell die Zeit bis zum zweiten Staatsexamen vergeht.
Nach fünf Monaten habe ich manchmal das Gefühl, keinen Fortschritt gemacht zu haben – als stünde ich noch genau da, wo ich am Anfang des Referendariats war.
Weil ich aber weiß, dass es vielen im juristischen Umfeld ähnlich geht (und dass dieses Gefühl trügt), möchte ich ein paar Dinge aufschreiben, die ich gelernt und geschafft habe oder die mir positiv in Erinnerung geblieben sind.
1. Urteile schreiben
Ich habe gelernt, Urteile zu schreiben – das konnte ich vor fünf Monaten ganz sicher nicht.
Am Anfang wirkten meine Entwürfe noch holprig, aber mit der Zeit wurde der Aufbau klarer und die Wortwahl sicherer.
Auch bei untypischen Sachverhalten finde ich inzwischen einen vernünftigen Aufbau und komme deutlich schneller in den „Schreibfluss“.
2. Klausuren
Ich habe, mehr oder minder erfolgreich, meine ersten Klausuren hinter mich gebracht. Auch wenn sie nicht perfekt waren, war jede einzelne davon ein Schritt nach vorn. Eine bessere Übung für das 2. Staatsexamen existiert leider nicht.

3. Zivilprozessrecht verstehen: Theorie wird durch Praxis lebendig
Im ersten Staatsexamen habe ich das Zivilprozessrecht eher vernachlässigt.
Im Referendariat musste ich es mir fast ganz neu erarbeiten – aber diesmal mit Praxisbezug.
Und das macht den Unterschied: Sobald man sieht, wofür eine Norm praktisch relevant ist, wird das Prozessrecht plötzlich greifbar.
Ein Versäumnisurteil zu verstehen oder die kleinen Kniffe des Verfahrens zu lernen, fällt viel leichter, wenn man es einmal live erlebt hat.
4. Prioritäten
Ich habe verstanden, dass die praktische Arbeit wichtig ist, aber für die Vorbereitung auf das zweite Staatsexamen die Theorie Vorrang haben sollte.
Die Fälle in der Praxis unterscheiden sich oft stark von den Examensfällen.
Man sollte also nicht versuchen, jede Ausbilderaufgabe perfekt zu lösen, sondern lieber unperfekte Ergebnisse akzeptieren – und stattdessen die dahinterliegende Theorie wirklich begreifen.
5. Noten sind zweitrangig
Hat mich der Gedanke an die Note in den ersten Wochen noch schier in den Wahnsinn getrieben, konnte ich mit der Zeit begreifen, dass diese zwar eine nette Motivation sein können, die Bedeutung darüber hinaus aber eher gering ist.
Ich habe gelernt, die Noten meiner AG-Leiter:innen und Ausbilder:innen nicht zu ernst zu nehmen.
Sie sind oft subjektiv und sagen wenig über die eigene Zukunft aus.
Gute Noten können motivieren – schlechte sollten einen aber nicht entmutigen.
6. Anpassungsfähigkeit
Im Referendariat muss man sich in kürzester Zeit auf viele neue Situationen und Menschen einstellen.
Auch wenn ich manchmal dachte, ich würde eine Situation nie überstehen, bin ich jedes Mal heil heraus gekommen.
Und mit jeder neuen Begegnung und ungewohnten Situation werde ich ein bisschen selbstsicherer.
Es gibt natürlich Dinge, die ich gerne schon gelernt hätte, die aber noch auf meiner To-do-Liste stehen, unter anderem:
- Wie fängt man an, regelmäßig Klausuren zu schreiben?
- Wie strukturiert man seinen Tag, um sich abends nicht unproduktiv zu fühlen?
- Wie lernt man am besten für das zweite Staatsexamen?
- Wo findet man die passende Anwaltsstation?
Aber manchmal muss man sich auf die positiven Dinge konzentrieren, um sich nicht in der endlosen Schleife des Lernens zu verlieren.
Ständig möchte alles in mir weiter sein, als ich bin, weil man auf seinem Weg leicht vergisst, was man vor zwei Monaten noch nicht konnte. Insbesondere im juristischen Umfeld wird uns viel zu häufig vermittelt, Jura sei ein Konkurrenzkampf und genau deshalb messen wir uns ständig am Fortschritt anderer statt an unserem eigenen.
Sich bewusst zu machen, was man heute schon gelernt hat, ist der erste Schritt, die eigene Leistung wertzuschätzen.
Also: Tu es mir gleich und konzentriere dich einmal mehr auf die Erfolge, ganz egal in welchem Bereich deines Lebens. Wir stapeln alle oft genug viel zu tief.
Wenn die der Beitrag gefallen hat, teile ihn gerne mit KomillitonInnen und folge uns auf Instagram @goldwaage.jura.
