Unser Autor Robert hat vor kurzem seinen Berufseinstieg vollbracht und festgestellt: Die mühsam erlernte Theorie aus dem Jurastudium hat mit wichtigen praktischen Fragen als JuristIn oft gar nichts zu tun. In diesem Beitrag gibt er deshalb Tipps, damit du für den ersten Realitätscheck in der Arbeitswelt gewappnet bist.
Die juristische Ausbildung ist in Deutschland eine faszinierende Sache. Wir wälzen jahrhundertealte Streitstände, sezieren Normen wie ChirurgInnen mit Telos und Historie und entwickeln dabei ein Feingefühl dafür, auf welchem Subsumtionsschritt ein Argument gerade passt. Was wir dabei oft nicht lernen? Wie man organisiert. Wie man in Teams kommuniziert (jenseits der gemeinsamen Lösung der Hausarbeit in der Lerngruppe). Und vor allem: wie man durch einen Fall als Prozess nicht nur juristisch, sondern operativ steuert.
Der Realitätsschock kommt meistens im Berufseinstieg. Zumindest bei fähigen Ausbildern kommen im Referendariat die Fälle und Aufgaben noch eher dosiert und mehr oder minder deinem Ausbildungsstand angepasst. An einem festen Arbeitsplatz (egal ob Kanzlei, Dezernat oder Lehrstuhl), an dem du letztlich für deine Leistung bezahlt wirst, geht es weniger um deine fachliche Entwicklung, sondern um Ergebnisse. Plötzlich dreht sich nicht mehr alles um ein perfekt ausformuliertes Gutachten, sondern um E-Mails, die sofort beantwortet werden wollen, Mandanten, die ungeplant anrufen und dich aus dem Flow bringen und Teams, die parallel auf Ergebnisse warten. Sehr schnell wird klar: Jura ist nicht nur Rechtswissenschaft. Es ist auch Projektmanagement in Robe.

Fälle sind Projekte. Punkt.
Kaum jemand sagt dir das als Neuling, aber jedes Mandat und jede Akte ist ein Projekt. Es hat ein Ziel, ein Ergebnis, Fristen, Beteiligte, Risiken – und jemanden (oder besser ein Team), der oder das dafür verantwortlich ist, dass alles zu einem Abschluss kommt. Das bist früher oder später in verschiedenen Rollen du.
Doch während andere Branchen Projektmanagement in Seminaren erklären oder allein darauf zugeschnittene Managerrollen haben, neigen Kanzleien oft zur Annahme, dass man „da schon reinwächst“. Das stimmt theoretisch und tatsächlich ist mit dem Referendariat und der Examensvorbereitung eine Lernkurve dahingehend angelegt. Praktisch kostet es aber bereits im Studium viele Abende, Nerven und manchmal auch eine Portion Selbstzweifel, bis man merkt: Struktur ist kein Luxus, sondern eine Überlebensstrategie.
Wer seinen Arbeitsprozess strukturiert, hält das Steuer selbst in der Hand. Auch dann, wenn es mal wackelig wird. Ehrlich muss man aber auch sagen, dass der juristische Alltag nicht immer planbar ist und die Prozessordnungen und nicht der eigene Kalender viele Fristen für uns setzt.
Scope: Was genau soll geliefert werden?
Eine der wichtigsten Fragen zu Beginn eines Mandats ist erstaunlich einfach – und wird doch selten gestellt:
„Was genau soll ich eigentlich abgeben?“
Jurist:innen neigen dazu, tief zu gehen – manchmal tiefer, als es der Mandant jemals wollte oder bezahlen möchte. Projektmanagement heißt daher zunächst: Auftragsklärung.
Ist ein kurzes Fazit gewünscht oder eine wissenschaftliche Analyse? Soll die Antwort in Bullet Points per Mail kommen oder als ausformulierter Aktenvermerk? Wer liest es – Partner, juristischer Laie oder die Geschäftsstelle?
Zehn Minuten Klärung am Anfang sparen zehn Stunden Nacharbeit am Ende. Insbesondere diese Fähigkeit erlernt man jedoch im Referendariat. Hier ist man neben dem Gutachten das erste mal mit verschiedenen Aufgabenstellungen à la „Anklage mit A- und B-Gutachten, Ermittlungsvermerk oder nur einer kurzen Zusammenfassung für die mündliche Verhandlung“ konfrontiert. Entsprechend sollte man sich die Nachfrage bei Übergabe der Akte unbedingt beibehalten.
Zeitplanung mit echtem Puffer
Die schönste Struktur hilft nichts ohne realistische Zeitplanung. Es gilt: Alles dauert länger, als man denkt, und Dringendes kommt immer dazwischen. Und wenn wir ehrlich sind, macht der spontane Kontakt mit anderen Prozessparteien den juristischen Beruf doch gerade spannender als die meisten anderen Bürojobs. Daher: Puffer einplanen, und Deadlines Dritter nicht blind akzeptieren, sondern aktiv besprechen und im Sinne deines Zeitrahmens nachverhandeln.
Sätze wie „Schaffe ich bis zum Mittag“ klingen erst mal gut, sind aber selten nachhaltig, wenn du den Fall noch gar nicht durchdrungen hast. Professioneller – und am Ende vertrauensbildender – ist ein klares Erwartungsmanagement:
„Mittwoch 10 Uhr sollte für mich klappen. Ich melde mich aber, sollte etwas Dringendes dazwischenkommen.“
Das ist kein Aufgeben, sondern Priorisierung und das Rechnen mit dem Unberechenbaren. Eine solche Kommunikation ist natürlich nur notwendig, wenn noch kein entsprechendes allgemeines Verständnis im Team besteht.
Auch gegenüber Mandanten ist es wichtig, realistische Einschätzungen des mit dem Einsatz von Zeit und Mitteln möglichen Ergebnissen zu liefern. Denn letztlich braucht es solche Transparenz auf allen Seiten, um die jeweils besten Entscheidungen treffen zu können und letztlich auf allen Seiten Zufriedenheit zu erreichen.
Ressourcen nutzen: Eine Frage des Systems
Delegation ist nicht nur Chefsache. Schon als WissMit lässt sich systematisch arbeiten und so der Aufwand reduzieren: früh Muster einholen, auf bestehende Dokumente zugreifen, Aufgaben ggf. auch die Geschäftsstelle weitergeben und Rückfragen einkalkulieren. Zudem ist es hilfreich, auch Zwischenstände mit dem Team zu teilen, damit niemand Fragen muss, wer eigentlich gerade welchen Stand der Akte hat oder schlimmstenfalls die gleiche Arbeit doppelt gemacht wird.
Anders gesagt: Projektmanagement bedeutet nicht, alles selbst zu können oder zu machen, sondern zu koordinieren.
Dazu gehört auch, anderen den Erfolg zu ermöglichen. Gute AnwältInnen führen – auch ohne Titel.
Tools und Programme
Wer denkt, Projektmanagement setze spezielle Software voraus, kann beruhigt sein. Vieles beginnt mit einfachen Dingen:
- Kalender konsequent blocken und mit dem Team teilen
- Strukturierte Ordner und Dokumentenversionen pflegen
- Kurze regelmäßige Status-Notizen führen oder Teambesprechungen abhalten
- OneNote/Teams/Notion für internes Wissens- und Aufgabenmanagement nutzen (über letzteres organisieren wir auch die Goldwaage)
Da du in Kanzleien eher keinen Einfluss auf die verwendete Software hast, läuft es in aller Regel auf eine gute Kenntnis von MS Outlook und Teams hinaus.
Besprechungen, gerade in Person, haben zudem den Vorteil, dass du zwischenmenschliches Vertrauen mit deinem Team aufbaust und gleichzeitig erkennt, wie die Belastung aktuell verteilt ist. So kannst du verlässlicher einschätzen, wen du im Hilfe fragen könntest und wer vielleicht gerade gern ein Projekt abgeben würde. Denn solches Vertrauen ist die Grundlage guter Zusammenarbeit.
Projektmanagement schützt vor Überlastung
Das Spannende ist: Wer Projekte gut steuert, schützt nicht nur Mandanteninteressen, sondern auch die eigene Gesundheit.
Projektmanagement setzt Grenzen: Was muss heute wirklich fertig sein? Was kann morgen erledigt werden? Was wird delegiert? Und wann ist Feierabend?
Diese Fragen klingen banal. Sie sind aber die Grundlage beruflicher Langlebigkeit, weil mit gutem Gewissen Abschalten können einfach wichtig für die Psyche ist.
Man könnte also sagen:
Projektmanagement ist die Kunst, nicht nur Recht zu haben – sondern rechtzeitig fertig zu werden.
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