In den meisten Bundesländern startet das Referendariat mit der Zivilstation – und damit oft auch mit der ersten Urteilsklausur. Damit ihr nicht ganz unvorbereitet vor eurem ersten Urteil sitzt, habe ich hier eine kleine Anleitung für euch. Natürlich kann ich nicht auf jede Besonderheit eingehen, aber die wichtigsten Grundzüge zum Aufbau eines Urteils sind dabei.
Übrigens: Urteilsklausuren sind nicht nur in der Praxis wichtig, sondern auch im zweiten Staatsexamen. Dort erwarten euch neben Anwalts- und Kautelarklausuren auch Urteilsklausuren. Den Aufbau früh zu verinnerlichen, zahlt sich also doppelt aus.

1. Rubrum
Den Auftakt macht immer das Rubrum. Die Details können sich je nach Bundesland unterscheiden, die Pflichtangaben sind überwiegend dieselben. Enthalten sein müssen:
- Aktenzeichen
- „Im Namen des Volkes“
- Art des Urteils (End-,Zeichen-, oder Teilurteil)
- Eingangsformel („In dem Rechtsstreit“)
- Kläger und Beklagte mit Anschrift
- Prozessbevollmächtigte mit Anschrift
- ggf. Streithelfer
- Allgemeiner Satz der das Gericht, den Richter, die Kammer und die letzte mündliche Verhandlung (soweit vorhanden) nennt.
Ein Beispiel:
„Hat das Landgericht Musterstadt – 12. Kammer – durch den Richter am Landgericht Schmidt als Einzelrichter nach der mündlichen Verhandlung am 02.03.2024 für Recht erkannt:“
Damit ist das Fundament gelegt – weiter geht’s mit dem Tenor.
2. Tenor
Der Tenor ist das, was man in der Praxis sofort nachschlagen würde – das Ergebnis. Er besteht meistens aus drei Punkten:
- 1. Entscheidung in der Hauptsache
- 2. Kostenentscheidung
- 3. Entscheidung über vorläufige Vollstreckbarkeit
Bei Klageabweisung ist es recht simpel: „Die Klage wird abgewiesen.“ Schwieriger wird es, wenn der Klage (teilweise) stattgegeben wird. Hier müsst ihr euch streng an die Anträge halten (Dispositionsmaxime). Alles, was nicht zugesprochen wird, muss ausdrücklich mit dem Zusatz abgegrenzt werden: „Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.“ Wenn das fehlt, ist das ein echter Kardinalsfehler.
3. Tatbestand
Der Tatbestand beschreibt, worum es im Prozess geht – ohne Wertung, ohne rechtliche Einordnung. Ziel ist es, den Sachverhalt so darzustellen, dass die Entscheidungsgründe nachvollziehbar sind.
Typischer Aufbau:
- Einleitender Satz (optional, kurze Einordnung des Rechtsstreits).
- Unstreitiger Sachverhalt
- Alle relevanten Tatsachen, die niemand bestreitet, chronologisch aufgeführt
- Streng im Imperfekt
- Streitiger Vortrag des Klägers
- Alles, was der Beklagte bestritten hat
- Perfekt, indirekte Rede
- Wichtig: Formulierungen wie „Der Kläger behauptet, …“ (Tatsache) oder „Der Kläger ist der Ansicht, …“ (Rechtsauffassung)
- Beispiel: „Der Kläger behauptet, der Beklagte habe vor Vertragsschluss von dem Umstand gewusst.
- Kleine Prozessgeschichte
- Überhaupt nur das, was man braucht, um die Anträge zu verstehen
- Perfekt Indikativ
- Anträge des Klägers (wie in der Klageschrift)
- Anträge des Beklagten
- Streitiger Vortrag des Beklagten (gleiche Regeln wie beim Kläger)
- Große Prozessgeschichte
- Der weitere Verfahrensverlauf, z. B. Beweisaufnahmen
Meist reicht dieses Schema. Abwandlungen sind notwendig, wenn besondere Umstände vorliegen – etwa eine Widerklage aus einem völlig anderen Sachverhalt.
4. Entscheidungsgründe
Nach dem Tatbestand folgen die Entscheidungsgründe – hier wird das Ganze rechtlich eingeordnet. Und zwar im Urteilsstil: Ergebnis zuerst, Begründung danach.
Typischer Einstieg:
„Die Klage ist zulässig und begründet.“
Grundprinzipien:
- Vom Allgemeinen zum Besonderen
- Zuerst Zulässigkeit, dann Begründetheit
- Orientierung an Prüfungsschemata
- Unproblematisches kurz abhandeln, Problematisches ausführlich
- Wenn der Klage stattgegeben wird, reicht die Prüfung einer Anspruchsgrundlage
- Wird die Klage abgewiesen, müssen alle infrage kommenden Anspruchsgrundlagen geprüft und verneint werden
Achtet darauf: In einem Urteil gibt es keine Überschriften wie „A. Zulässigkeit“. Eine Untergliederung ist erlaubt, aber nur durch Gliederungspunkte – nicht durch Überschriften
Sprachlich helfen Formulierungen wie „denn“, „weil“ oder „da“, um die Argumentation im Urteilsstil sauber zu verbinden
Fazit
Ein Urteil zu schreiben ist am Anfang ungewohnt – schließlich müsst ihr vom gewohnten Gutachtenstil in den Urteilsstil umdenken. Wichtig sind:
- prägnantes Formulieren,
- saubere Trennung von streitigem und unstreitigem Vortrag,
- schematische, nachvollziehbare Entscheidungsgründe.
Dass die ersten Versuche noch holprig wirken, ist völlig normal. Routine kommt erst mit der Zeit – und ja, hier gilt das altbekannte Motto: üben, üben, üben.
Tipp: Musterurteil vom OLG Sachen
