Interview: Martin Fries über die Chancen von Legal Tech

Professor Martin Fries war einer der ersten, der in Deutschland eine Vorlesungsreihe zum Thema Legal Tech ins Leben gerufen hat. Neben seiner Lehrtätigkeit veröffentlicht er monatlich den Podcast #Fussnote und hat außerdem mit „Jura-Podcast“ eine Lernplattform geschaffen, mithilfe derer Studierende online ihr Wissen im Privatrecht vertiefen können. Wir haben ihm fünf Fragen rund ums Thema Legal Tech gestellt.

1. In Ihrem Podcast #Fußnote greifen Sie das Thema Legal Tech und Digitalisierung regelmäßig auf. Überdies haben Sie dem Thema Legal Tech eine eigene Vorlesung gewidmet, welche unter anderem auf YouTube verfügbar ist. Woher kommt Ihre Begeisterung dafür?

Ich bin überzeugt, dass uns die Digitalisierung in der Rechtspflege voranbringt. Der Zugang zum Recht wird einfacher, und es gibt eine große Chance, auch die Qualität von Rechtsberatung und Streitentscheidung zu verbessern. Dazu braucht es natürlich geeignete Rahmenbedingungen, über die wir diskutieren müssen: Wo können uns Algorithmen wertvolle Hilfe leisten und wo lassen sie das notwendige Augenmaß vermissen? Spannende Fragen, wie ich finde…

2. Viele Studierende können mit dem Begriff “Legal Tech” bisher nicht besonders viel anfangen. Warum ist das Thema auch für uns Studierende relevant?

In einem modernen Krankenhaus ist der Einsatz von Software bei der Anamnese, Diagnose und Therapie schwerer Krankheiten schon der absolute Standard. Wir Schwarzkittel sind vielleicht noch etwas skeptischer als die Weißkittel, aber die Algorithmen drängen natürlich auch in unsere juristischen Berufe herein. Vertragsgeneratoren, Textanalysesoftware und digitale Subsumtionsassistenten werden in absehbarer Zeit zur juristischen Standardklaviatur gehören. Wer heute Jura studiert, wird diese Helferlein bald mit derselben Selbstverständlichkeit nutzen, wie die Studierenden der letzten Generation heute bei Juris oder Beck Online unterwegs sind. Man kann also abwarten und Tee trinken – oder sich schon mal neugierig anschauen, was es da am Horizont Neues zu entdecken gibt.

Prof. Martin Fries: „Ich denke, dass uns die Digitalisierung von monotonen,
repetitiven und damit auch ein Stück weit langweiligen Aufgaben befreit.“

3. Welche Chancen und Risiken sehen Sie in einer zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt, insbesondere für Jurist*innen?

Ich denke, dass uns die Digitalisierung von monotonen, repetitiven und damit auch ein Stück weit langweiligen Aufgaben befreit. Die Zeit einer hochspezialisierten Anwältin scheint mir zu kostbar, um zigtausende Dokumentenseiten nach bestimmten Klauseln zu durchsuchen oder das Formular für ein Testament oder einen Gesellschaftsvertrag zum 200. Mal händisch auszufüllen. Wenn man diese Tätigkeiten in einem Algorithmus abbildet und einer Software anvertraut, bleibt mehr Zeit dafür, der Mandantin zuzuhören und über kreative Lösungen nachzudenken. Natürlich bringt die schöne neue Welt auch neue Herausforderungen mit: Werden wir den Algorithmus eines digitalen Assistenten ernsthaft zu verstehen versuchen? Und selbst wenn wir das tun, werden wir uns die Mühe machen, das vorläufige Prüfungsergebnis der Software noch kritisch zu hinterfragen? Oder werden wir uns faktisch mit einer halbhohen Trefferwahrscheinlichkeit abfinden?

4. Nutzen Sie in Ihrem Alltag bereits Errungenschaften von Legal Tech?

Die Tätigkeit eines Wissenschaftlers ist etwas anders gelagert als die eines Anwalts oder einer Richterin. Während sich in der Rechtspflege die Fälle häufig so oder so ähnlich wiederholen, sucht die Wissenschaft gerade das Neuartige und setzt es in Beziehung zum geltenden Recht. Insofern sind Algorithmen für mich eher Gegenstand meiner Untersuchungen als ein Arbeitsmittel. Juristische Suchmaschinen nutze ich aber natürlich auch.

5. Wenn ich als Studierender einen Einstieg in das Thema finden möchte, wo kann ich mich informieren?

Wer schon im Studium einen Einstieg in das Thema Legal Tech sucht, findet dazu ganz vielfältige Möglichkeiten. Meine Legal-Tech-Vorlesung auf YouTube haben Sie ja freundlicherweise schon erwähnt; die geht übrigens im Sommersemester 2022 in die dritte Auflage. Aber es gibt auch vor Ort an den Unis viele Veranstaltungen zu dem Thema. An jeder zweiten juristischen Fakultät hat sich im Laufe der letzten Jahre eine Legal-Tech-Studierendenvereinigung gegründet. Schaut einfach mal, welche Veranstaltungen die anbieten, da ist wirklich einiges los!

Wir bedanken uns sehr herzlich bei Herrn Fries für das Interview.

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