Interview Mireen Lintl: Wie kommt man gesund durchs Examen?

Mireen Lintl hat zunächst die juristische Ausbildung absolviert und sich Stück für Stück dem Coaching zugewandt. Die Nachfrage nach Nachhilfe in Lernstrategien und Stressbewältigung in Jura war so groß, dass sie 2023 das Mindset-Rep ins Leben rief. Sie will angehenden JuristInnen helfen, resilient, motiviert und mit Fokus durch die herausfordernde Studien- und Examenszeit zu kommen. Neben der klassischen juristischen Ausbildung hat sich die Prädikatsjuristin an der Coaching Akademie Berlin zum zertifizierten Personal-, Business- und Karrierecoach ausbilden lassen.

Im Interview habe ich sie – nicht ganz uneigennützig- rund ums Thema Stressbewältigung im Examen mit Fragen gelöchert.

Mireen, wieso ist es so schwer, in der Examensvorbereitung die Nerven zu behalten?

Zum einen liegt das daran, dass man über so einen langen Zeitraum lernen muss. Man kann nicht sagen, „Ich reiße mich jetzt mal zwei, drei Wochen zusammen”. Dazu kommt die hohe Stofffülle, verbunden mit dem Gefühl, dass die Zeit für den Lernstoff nicht reicht. Es wird leider immer irgendetwas geben, das man nicht abgedeckt hat.

Man kann sich das vorstellen wie eine Box, in die man mit einer Taschenlampe hineinleuchtet. Wenn man Glück hat, kann man irgendwann viele Bereiche der Box ausleuchten, aber in die allerletzten Ecken kann man nur schwer gelangen. Es wird immer irgendetwas geben, das man nicht sieht. Wenn man sich damit ein wenig abfinden kann, nimmt das eine Menge Druck.

Außerdem ist die Jurabubble nicht unbedingt für ihren gegenseitigen Support bekannt. Es herrscht oft keine gute Fehlerkultur und viele denken in Extremen – entweder man ist enorm leistungsstark oder kann es direkt vergessen. Dabei wird der individuelle Weg oft vergessen und viele Studierende glauben, sie müssten alles mit sich selbst ausmachen. Das kann nicht zuletzt zu dem klassischen Impostor-Syndrom führen, dass man Angst hat, die anderen würden bald bemerken, dass man eigentlich gar nichts kann.

Ging dir selbst das auch so?

Im ersten Examen fiel es mir noch leichter. Ich habe im Studium auch eher von Klausur zu Klausur gelernt und war dann im Repetitorium zunächst von der Stofffülle erschlagen. Ich habe es dann aber gut geschafft, mich durch regelmäßiges Lernen hochzuarbeiten. Da war ich mental gut aufgestellt. Im zweiten Examen, im Referendariat, wurde allerdings wenige Tage vor meinen Examensklausuren klar, dass Corona nach Deutschland kommen würde und die Examensklausuren um mehrere Monate verschoben werden müssten. Die Ungewissheit, die dadurch herrschte, hat mich total gestresst. Der Stofffülle bin ich durch die Lernstrategien jedoch ganz gut begegnet.

Als Coach hast du sicher einen guten Eindruck von vielen verschiedenen Studierenden. Gibt es klassische Fehler oder Glaubenssätze, die Examenskandidaten mit sich herumtragen?

Ein paar klassische Glaubenssätze sind “Ich bin nicht gut genug”, “Die anderen sind alle besser” oder “Mein Wert ist an meine Leistung geknüpft”. Man kann diesen Gedanken aber gut auf den Grund gehen und sie auflösen. Dahinter steckt häufig der Gedanke “Ich kann es nicht schaffen.” Leistungsdruck und Perfektionismus können dann eine Schutzstrategie sein, um Kontrolle wiederzuerlangen.

Hast du einen Tipp, was ich tun kann, wenn ich bemerke, dass ich dem Druck gerade nicht standhalte? Vielleicht eine Art Notfallplan?

Erstmal würde ich die Gedanken auch als solche identifizieren. Es hilft sich klarzumachen, dass die Ängste und Sorgen wirklich nur ein Gedanke sind und die Perspektive von “Ich bin ein Gedanke” zu “Ich habe einen Gedanken” zu wechseln. Dann kann ich mich von diesem Gedanken auch distanzieren. Im nächsten Schritt kann ich vielleicht sogar feststellen, was für ein Glaubenssatz sich dahinter verbirgt. Außerdem kann ich mir überlegen, wie ich die Situation alternativ bewerten könnte. Ist mein Gedanke die einzige Wahrheit und könnte man das noch anders sehen?

Wie sähe denn eine gesunde Examensvorbereitung aus?

Hier würde ich den Fokus auf zwei Punkte legen, nämlich Lernstrategie und mentale Stärke. Ein wichtiger Teil dabei ist Struktur und Planung. Es hilft ungemeinen einen guten Lernplan sowie eine gute Lernorganisation zu haben. Das Ziel sollte sein, von einem unbewussten Drauf-Los-Lernen weg– und zu einem bewussten Lernen hinzukommen. Dafür kann man analysieren, was für einen persönlich am besten funktioniert: Lerne ich besser in der Bibliothek oder zu Hause? Wie schaffe ich es, nach einem Lerntag abzuschalten? Wie strukturiert ist mein Schreibtisch? Wie sind meine Unterlagen organisiert? Wie ist mein soziales Umfeld? Tun mir die Leute um mich herum gut oder rauben mir die Leute Energie? Was habe ich für einen Lerntyp? Mit was für Materialien lerne ich? Schreibe ich blind viele Karteikarten mit hohem Zeitaufwand und vergesse dabei, aktiv zu lernen?

„Das Ziel sollte sein, von einem unbewussten Drauf-los-lernen weg – und zu einem bewussten Lernen hinzukommen.“

Mireen Lintl

Im Fokus sollte dabei stehen, ein gesundes Lernumfeld ohne Ablenkungen zu kreieren. In Bezug auf Lernzeiten empfehle ich Intervalle von max. 60 bis 90 Minuten, gefolgt von einer Pause. Das Gehirn braucht spätestens dann Ruhe, um überhaupt wieder aufnahmefähig zu sein. Auch Motivation spielt eine große Rolle. Ich empfehle meinen KlientInnen immer sich ein Dokument anzulegen, auf das sie aufschreiben, was sie motiviert. Wer möchte, kann sich auch konkrete Ziele vorstellen und visualisieren, wie es sich anfühlt, diese zu erreichen. Die innere Haltung und das, worauf ich meine Blick richte sind dabei ganz entscheidend. Wer stark an sich zweifelt, dem empfehle ich, mal eine Liste zu schreiben: Was spricht dafür, dass ich dieses Examen bestehe? Oder für Personen die ihren Selbstwert eng mit ihren Leistungen verknüpft haben: Was spricht dafür, dass ich mehr bin als meine Leistungen?

Gibt es denn Not-To-Dos, also Dinge, die man in der Examensvorbereitung unbedingt vermeiden sollte?

Auf Platz eins steht für mich das Vergleichen und ständig an den eigenen Leistungen zu zweifeln. Ich rate auch davon ab, ins Blaue hineinzulernen. Täglich neu zu entscheiden, wann ich in die Bibliothek gehe, dann ewig ohne Pausen zu lernen ist nicht nachhaltig. Auch den Fokus immer nur auf Misserfolge zu richten ist ein Not-To-Do. Und natürlich, viel am Handy zu sein und sich schnell ablenken zu lassen. 

Viele Studierende hadern damit, eine gute Balance zwischen Freizeit und Lernen zu finden. Gibt es einen Maßstab, an dem man sich orientieren kann?

Erholung ist nie wichtiger als in der Zeit, in der man eine so angestrengt arbeitet. Das ist wie beim Spitzensport, wo man Regeneration braucht, um wieder leisten zu können. Es geht darum, in den Fokuszeiten wirklich zu lernen. Dann kann man auch in den Pausenzeiten richtig Pause machen. Ich nenne das immer „Goldene Lernzeit“, in der man ganz bei der Sache ist.

Ich selbst habe in meiner Examensvorbereitung Samstags Probeklausuren geschrieben, im Anschluss gegebenenfalls noch ein paar Dinge nachgelesen und mir dann das Wochenende frei genommen. Man braucht zwischendrin wirklich 24 Stunden „jurafrei“. Nichts steigert die Motivation mehr, als sich das dann auch zu gönnen und sich zu belohnen. Belohnungen sollten nicht an bestimmte Noten geknüpft sein, sondern einen Ausgleich zur harten Lernzeit darstellen.

Ich empfehle außerdem, unter der Woche früh mit dem Lernen anzufangen und früh aufzuhören, um noch etwas vom Nachmittag zu genießen. So kann man auch über einen langen Zeitraum gut durchhalten.

Hast du Empfehlungen, für Leute, die sich mit den Themen Persönlichkeitsentwicklung und Studium mehr befassen wollen?

Zum Thema Glaubenssätze kann ich die Bücher von der Psychologin Stefanie Stahl sehr empfehlen, zum Beispiel “Das Kind in dir muss Heimat finden.” Sie hat auch zwei Podcasts “Stahl aber herzlich” und “So bin ich eben”, aus denen man sehr viel Grundlegendes über Persönlichkeitsentwicklung mitnehmen kann. Auch Nicole LePera, eine amerikanische Psychologin, hat einen sehr spannenden Instagramkanal und ebenfalls ein Buch geschrieben namens “Heile dich selbst”. Spannend und wissenschaftlich sehr fundiert fand ich das Buch “Besser Fühlen” vom Psychologen Leon Windscheid. Zum Thema Stressbewältigung lege ich jedem auch Bas Kasts “Kompass für die Seele” sehr ans Herz.

Ich bedanke mich herzlich bei Mireen für das spannende Interview. Hier gelangt ihr zu ihrer Website und hier könnt ihr euch für ihren Newsletter anmelden, um nichts mehr zu verpassen.