Ich habe den ganzen September in der Kanzlei eines Strafverteidigers verbracht. Heute erzähle ich euch davon, was ich im Rahmen meines Praktikums dort gesehen und gelernt habe.
Die ersten Tage
Das erste, was ich an Tag eins meines Praktikums erlebt habe, war ein Mandantengespräch. Es war kein gewöhnliches, da es um den Vorwurf der Vergewaltigung ging. Wie ihr euch vielleicht denken könnt, war das nicht der einfachste Start, aber dennoch fand ich es nicht verkehrt, einmal so ins kalte Wasser geworfen zu werden. Nach diesem Gespräch war ich nämlich hellwach und realisierte, dass wirklich sehr lehrreiche und interessante Wochen auf mich warten.
Ich freute mich zuallererst sehr darüber, dass ich ein eigenes Büro mit einem großen Schreibtisch und zwei Computer-Bildschirmen überlassen bekam. Dadurch hatte ich die Freiheit, ungestört zu arbeiten und nicht zwischen Tür und Angel zu sitzen. Ich hatte auch mein eigenes Telefon, um mit den MandantInnen in Kontakt zu treten.

Die Rechtsanwaltsfachangestellte der Kanzlei half mir in diesen ersten Tagen ungemein, in den Arbeitsalltag zu finden und die nötigen Grundkenntnisse im Büro zu erlangen – selbst wenn es nur um den Umgang mit dem Drucker zum Scannen und Faxen ging. Sie war sehr geduldig und gelassen und erklärte mir Aufgaben gerne doppelt, falls ich beim ersten Mal nicht alles verstanden hatte. Langsam, aber sicher bekam ich meine ersten Aufgaben übertragen, von denen ich gleich ausführlicher berichte.
Wie mein Alltag aussah
Insgesamt waren wir mehrmals die Woche und manchmal sogar mehrmals am Tag bei unterschiedlichen Gerichtsterminen in ganz Mecklenburg-Vorpommern und einmal in Niedersachsen. Mein Lieblingsgericht ist übrigens das Amtsgericht Güstrow gewesen, weil es von innen wunderschön ist und tolle, farbenfrohe Gerichtssäle vorzuweisen hat.
Was noch beinahe jeden Tag auf meiner To-Do-Liste stand, war die ganz normale Büroarbeit. In einer Kanzlei umfasst das: Ermittlungsakten von Staatsanwaltschaft und Polizei scannen, Post stempeln, sortieren und bearbeiten, Schreiben an MandantInnen vorbereiten, mit Gerichten telefonieren, Kostenrechnungen erstellen und vieles mehr. Das erste Mal, als ich mit einer Richterin telefoniert habe, war sehr aufregend, weil ich mit ihr einen Verhandlungstermin vereinbaren durfte. Diese objektiven Kleinigkeiten wirken am Anfang des Praktikums trotzdem sehr spannend, weil man doch viel Verantwortung übertragen bekommt. Wenn du die Akte nicht richtig einscannst, können dem Anwalt am Ende wichtige Informationen für die Verteidigungsstrategie fehlen. Wenn du den Termin falsch vereinbarst und es eine Terminkollision gibt, lässt du MandantIn und alle Anwesenden im Gericht hängen.
Wie ich mit Mandanten und Mandantinnen umgegangen bin
Die meisten StraftäterInnen, die ich kennenlernte, waren halbwegs sympathisch und durchweg freundlich. Einige waren ruhig und schüchtern, andere laut und chaotisch, aber im Grunde war hier auch ein Querschnitt durch die gesamte Gesellschaft zu sehen. Das Bild vom „bösen Kriminellen“, welches in vielen Köpfen so verfestigt ist, habe ich schnell verworfen, weil ich den jeweiligen Hintergrund und die Geschichte zu jeder Tat erfuhr. Einige MandantInnen von uns waren in der Kindheit auf die schiefe Bahn geraten und hatten nie die Chance, etwas aus ihrem Leben zu machen. Manchmal ging mir deren Situation so nahe, dass ich ein Problem damit hatte, die nötige professionelle Distanz aufzubauen und mich von den Gefühlen der Personen abzugrenzen. Wenn die Mandantin vor euch sitzt und aus Verzweiflung weint, müsst ihr auch mit solchen Situationen zurechtkommen und Menschlichkeit beweisen, indem ihr sie beruhigt und ihr Perspektiven für die Zukunft aufzeigt. Als StrafverteidigerIn muss man also nicht nur durchsetzungsfähig und gut in Jura, sondern auch empathisch sein und Sicherheit vermitteln können.
Einige MandantInnen waren z.B. Russisch-Muttersprachler und so hatte es sich angeboten, dass ich mit ihnen auf Russisch gesprochen habe, um eine Ebene zu ihnen aufzubauen. Ich habe unterschätzt, was es für einen Unterschied ausmacht, wenn ein Mensch sich richtig gehört und verstanden fühlt. Wenn ihr also einmal die Möglichkeit habt, euch auf der Muttersprache der MandantInnen zu unterhalten, werdet ihr merken, wie sehr das beiderseits die Laune hebt und auch die professionelle Beziehung zueinander stärkt.
Meine Highlights
Besonders gut an dem Praktikum fand ich, dass ich wirklich überall eingebunden wurde und der Anwalt sogar meinen größten „Wunsch“ erfüllt hat, und zwar den Besuch in der JVA. Den Artikel dazu findet ihr hier. Wir waren ständig unterwegs und haben unterschiedliche Städte gesehen, was mir unheimlich viel Spaß bereitet hat. Jede Woche gab es neue Locations, neue Erledigungen und Herausforderungen.
Es war auch sehr sinnvoll, dass ich manchmal Rückschläge im Verteidigungsalltag miterlebte und lange Tage mitmachte, die über reguläre acht Stunden hinausgingen. Nur so konnte ich mir ein realistisches Bild vom Beruf machen. Jetzt weiß ich genau, dass Strafverteidigung definitiv in die engere Berufsauswahl gelangt, wenn ich mit dem Studium fertig bin. Es ist so ein mobiler und abwechslungsreicher Job, welcher einem (wie ich finde) viel zurückgibt. Man hat jeden Tag die Chance, jemandem zu helfen oder für Gerechtigkeit zu sorgen. Wenn wir auf dem Weg zu entscheidenden Terminen waren, hatte ich immer das Gefühl, etwas sehr Sinnvolles und Erfüllendes mitzuerleben. Dann war es auch kein Problem, auch mal um 5 Uhr morgens aufzustehen, da man weiß, dass man das für eine sehr wichtige Sache tut und wirklich gebraucht wird.
Fazit
Abschließend kann ich ein Praktikum in diesem Bereich wirklich allen empfehlen – auch (und vielleicht erst recht dann,) wenn man sich im Studium eher nicht mit Strafrecht anfreunden kann. Man lernt jeden Tag mindestens eine neue Sache aus der StPO und sieht diese dann angewandt im Gerichtssaal. Ich habe auch einen anderen Blick und Motivationskick in Bezug auf das Studium erhalten, aber davon werde ich euch noch bald in einem separaten Artikel erzählen…
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